Unternehmen müssen erst einmal ihr volles Marktpotential entfalten
Gast: Kevin Ziegler - Ex-CEO von Liberty Damenmoden
Transkript der Folge
Malte Hansson (00:01.794)
Dann herzlich willkommen, Kevin. Ich freue mich, dass du meiner Einladung zur heutigen Podcast-Aufnahme gefolgt bist. Zum Einstieg möchte ich dich kurz vorstellen: Du warst in den letzten Jahren CEO bei Liberty Damenmode, hast dort ein Umsatzvolumen im mittleren zweistelligen Millionenbereich verantwortet und am Ende auch 118 Filialen mit über 500 Mitarbeitenden geleitet. Bis zum 30.06. hast du das Unternehmen verlassen. Mich interessiert jetzt zunächst: Wie bist du überhaupt in die Modebranche gekommen, und wie hat dich dein Weg schließlich in die Position des CEOs geführt?“
Kevin (00:47.246)
„Ja, Malte, vielen Dank für die Einladung. Spannendes Thema. Gute Frage. Tatsächlich bin ich über einen Nebenjob in die Modebranche hineingerutscht. Ich habe damals als Barkeeper in meiner Universitätsstadt gearbeitet, und die späten Schichten lagen mir nicht wirklich. Deshalb habe ich nach einem Job gesucht, den ich mehr am Freitag und Samstag ausüben konnte. Zufällig bin ich dann bei Peek & Cloppenburg gelandet und habe in einer Boutique Jeans von G-Star, Diesel und anderen Marken verkauft. So kam ich in die Modebranche.“
Malte Hansson (01:34.274)
„Und wie viele Jahre bist du nun insgesamt in der Modebranche tätig?“
Kevin (01:38.286)
„Ich bin mittlerweile seit 23 Jahren in dieser schönen Branche unterwegs.“
Malte Hansson (01:44.674)
„Beeindruckend! Was hat dich damals so begeistert, dass du bis heute in der Branche geblieben bist und dich nicht für etwas anderes entschieden hast?“
Kevin (02:05.422)
„Im Endeffekt ist es die Faszination für das Emotionale an Mode. Letztlich heißt es ja immer, keiner braucht Mode wirklich – trotzdem hat jeder seinen Kleiderschrank voll. Menschen gehen immer wieder gerne shoppen oder sehen sich Sendungen wie „Germany’s Next Topmodel“ an. Mode weckt Emotionen. Als Verkäufer am Anfang meiner Karriere war es spannend, mit Menschen zu arbeiten, sie zu beraten und ihnen etwas Wertvolles für ihr Leben zu geben. Ob für das Wochenende, eine Hochzeit oder eine andere Gelegenheit – es war schön, zu sehen, dass man den Leuten helfen konnte, etwas zu finden, das sie selbstbewusster und stolzer macht. Später war es natürlich auch die Zusammenarbeit mit inspirierenden Kolleginnen und Kollegen und tollen Führungspersönlichkeiten, die mich in dieser Branche gehalten haben. Außerdem gab es Vorgesetzte, die mich gefördert und an mich geglaubt haben.“
Malte Hansson (04:20.449)
„Okay, das klingt auf jeden Fall sehr inspirierend. Mich interessiert jetzt aber auch, was für dich eine gute Führungskraft ausmacht. Du hast erwähnt, dass du Vorgesetzte hattest, die sehr gut mit Menschen umgegangen sind. Das ist ja leider nicht die Regel – ich habe da auch schon meine Erfahrungen gemacht und gedacht, okay, in dieser Führungsrolle bist du definitiv falsch. Was zeichnet für dich gute Führung aus? Was haben diese Führungskräfte gemacht, dass du gesagt hast, ich möchte für diese Person arbeiten?“
Kevin (04:59.854)
„Eine der ersten Dinge, die ich in meiner Junior-Training-Zeit bei Peek & Cloppenburg gehört habe, war von meiner direkten Vorgesetzten: ‚Meine Aufgabe ist es, dich besser zu machen, als ich es bin.‘ Das hatte etwas sehr Heroisches. Damals war mir das vielleicht gar nicht so bewusst, aber im Grunde hatte diese Person den Auftrag, sich daran messen zu lassen, was ich am Ende dieser Reise konnte. Wenn ich am Ende mehr konnte als sie selbst, dann hatte sie ihren Job gut gemacht. Das bedeutete, dass sie keine Angst hatte, Wissen zu teilen, oder davor, dass ich ihr vielleicht irgendwann den Job wegnehmen könnte. Sie war intrinsisch motiviert, jemanden so gut wie möglich in die Karriere zu begleiten und auszubilden. Und genau diese intrinsische Motivation und Selbstlosigkeit sind für mich extrem wichtig.
Wenn solche Führungskräfte einen so fördern und weiterbringen, dann merkt man, dass das ein sehr glückliches Arbeitsumfeld schafft. Es gab in meiner Karriere immer wieder Personen, die mir das Gefühl gaben, dass ich gebraucht werde und mich entwickeln darf – dass ich auch Fehler machen darf. Klar, zu viele Fehler sollte man nicht machen, aber man durfte Fehler machen und hat dann erklärt bekommen, wie man es in Zukunft besser macht. Das hat mich unglaublich motiviert und mir das Selbstbewusstsein gegeben, meinen Weg zu gehen.“
Malte Hansson (07:18.894)
„Ja, das kann ich gut nachvollziehen. Es ist auch ehrenhaft, dass du so denkst, denn das ist nicht selbstverständlich. Ich stimme dir da völlig zu. Ich finde auch, als Führungskraft ist es gar nicht die Aufgabe, der beste Fachexperte zu sein. Dafür hat man ja das Team. Es geht darum, die Leute zu befähigen, ihre Aufgaben optimal zu erledigen.“
Kevin (08:42.286)
„Absolut. Wir hören und lesen ja ständig über die rasante Entwicklung der Gesellschaft und der technologischen Möglichkeiten. Gerade jetzt, wenn man sich die Fortschritte bei künstlicher Intelligenz ansieht, wird klar: Die Zeiten, in denen eine Führungskraft alle Antworten parat haben konnte, sind vorbei. Entwicklungen kommen so schnell und sind teils so fundamental, dass die entscheidende Fähigkeit heute darin liegt, die besten Leute an den Tisch zu holen. Ich erinnere mich an ein Erlebnis aus meiner Zeit bei Orsay: Da saß ich in einem Meeting mit anderen Top-Managern, und der CEO sagte: ‚Hier sitzen sechs, sieben Leute, die zusammen eine deutlich bessere Entscheidung treffen werden, als ich es allein könnte.‘ Seine Rolle war es, die richtigen Fragen zu stellen und das Team zur besten Lösung zu führen. Diese Haltung hat meinen Führungsstil stark geprägt.“
Malte Hansson (11:12.894)
„Ja, absolut. Gerade in großen Unternehmen geht es oft eher darum, den eigenen Kopf zu retten als das Gesamtwohl im Auge zu haben. Natürlich auch verständlich, weil es für die eigene Sicherheit wichtig ist. Aber aus deiner Sicht: Wie schafft man ein Umfeld, in dem das große Ganze über den eigenen Interessen steht?“
Kevin (11:53.166)
„Zunächst braucht es ein gemeinsames Verständnis, ein klar formuliertes Ziel. Das ist in einer heterogenen Gruppe, wo verschiedene Menschentypen aufeinandertreffen, nicht immer einfach. Aber bevor man sich an die Umsetzung macht, muss die große Idee, das Spielfeld klar definiert sein. Das lässt sich gut mit Fußball vergleichen: Der Trainer gibt die Taktik vor, und jeder Spieler hat seine Rolle. Es geht nicht darum, die besten Einzelspieler zu haben, sondern die beste Kombination von Charakteren und Fähigkeiten auf dem Spielfeld zu finden. Ich denke, in einem Unternehmen ist es ähnlich: Man braucht eine klare Vision und Rollenverteilung, und dann muss man den Einzelnen die Freiheit geben, ihre Rolle auszufüllen. Meine Aufgabe als Führungskraft ist es, das Team bestmöglich zu unterstützen, den Weg zum Ziel zu finden.“
Malte Hansson (16:14.462)
„Ja, absolut. Die besten Individuen ergeben nicht immer das beste Team. Es ist nicht einfach, alle auf eine Linie zu bringen und dafür zu sorgen, dass es harmoniert. Da steckt viel Kommunikationsarbeit dahinter.“
Kevin (16:49.39)
„Genau, und am Ende läuft vieles auf Kommunikation hinaus. Das gelingt natürlich nicht immer perfekt. Manchmal macht man Fehler und reflektiert diese dann. Wichtig ist, dass man sich als Führungskraft Fehler eingestehen und aus ihnen lernen kann. Man erwartet ja auch von den Mitarbeitern, dass sie mutig und innovativ sind. Also muss man ihnen Fehler zugestehen und eine Kultur schaffen, in der man aus Fehlern lernt.“
Malte Hansson (18:46.173)
„Sehe ich genauso. Mir wurde einmal gesagt: ‚Wenn du denselben Fehler zweimal machst, dann ist es eine bewusste Entscheidung.‘ Das fand ich einen interessanten Ansatz.“
Kevin (19:11.662)
„Ja, definitiv. Aber am Ende ist es wichtig, wie man als Führungskraft damit umgeht.“
Malte Hansson (21:10.364)
„Wenn man ein Team von 25 Leuten beim Fußball führt, ist das natürlich etwas anderes, als wenn man 500 Leute in einem Unternehmen leitet. Wie hast du es geschafft, bei so vielen Mitarbeitern den Kurs vorzugeben?“
Kevin (21:36.014)
„Wie du schon sagst, bei 500 Leuten hast du nicht die Möglichkeit, jeden Einzelnen direkt zu erreichen. Bei Orsay beispielsweise mit über 5.000 Mitarbeitern war das eine große Herausforderung. Der engste Führungskreis spielt hier eine entscheidende Rolle, denn er ist der Multiplikator und Informationsgeber. Natürlich kann man auch große Meetings abhalten und durch das Land reisen, aber das ersetzt nicht das direkte Gespräch. Der Führungskreis muss das große Ziel verstehen und es dann in kleineren Team-Meetings und individuellen Gesprächen weitervermitteln. Wenn jeder im Führungskreis an einem Strang zieht und klar ist, was das große Ganze ist, dann kann man auch große Organisationen steuern.“
Malte Hansson (26:55.485)
„Verstehe, ja. Ich kenne das auch aus dem Konzernumfeld, dass C-Level oft von der unteren Führungsebene abgeschirmt wird. Wie bist du damit umgegangen, wenn du gemerkt hast, dass deine Ideen oder Ziele nicht so umgesetzt wurden, wie du dir das vorgestellt hast?“
Kevin (27:32.078)
„Man muss nach oben genauso gut kommunizieren wie nach unten. Wenn man als Manager Veränderungen anstoßen will, ist es wichtig, den Gesellschaftern oder Beiräten die Ideen und Ziele klar zu vermitteln. Die richtigen Gespräche zu führen und sicherzustellen, dass sie die Richtung unterstützen, kann viele Probleme im Vorfeld lösen. In meiner Karriere musste ich auch Länderorganisationen schließen, wie zum Beispiel in der Schweiz. Wir haben viel probiert, Filialen umstrukturiert und gehofft, das Land retten zu können. Aber manchmal erkennt man nach einer gewissen Zeit, dass es einfach nicht funktioniert.“
Malte Hansson (30:45.756)
„Wie gehst du persönlich mit solchen Situationen um, wenn du merkst, dass du Entscheidungen treffen musst, die für viele Mitarbeiter existenzielle Konsequenzen haben?“
Kevin (31:05.294)
„Ich glaube, der emotionale Block liegt weniger in der Sorge, dass Mitarbeiter keine neue Stelle finden, sondern darin, dass man Menschen, die über Jahrzehnte für das Unternehmen gearbeitet haben, mitteilen muss, dass ihre Arbeit hier endet. Man muss darüber sprechen, mit jemandem im Freundes- oder Familienkreis oder auch mit einem Mentor. Es ist extrem wichtig, das nicht alles mit sich selbst auszumachen.“
Malte Hansson (33:59.581)
„Absolut, sich auszutauschen ist wichtig. Und ich habe schon öfter gehört, dass es ‚einsam‘ sein kann in einer Führungsrolle, weil wenige wirklich nachvollziehen können, was man durchmacht.“
Kevin (34:51.566)
„Ja, es gibt diese Einsamkeit. Aber man findet auch intern oder extern Leute, die einem auf dem Weg helfen können. Mentoring oder Sparring-Partner, die ehrlich und erfahren sind, sind für mich essenziell, um in solchen Situationen zu bestehen. Es muss auch nicht immer jemand aus dem engeren Freundeskreis sein. Jemand, der einen wirklich versteht und einem Feedback gibt, ist oft Gold wert.“
Malte Hansson (41:03.79)
„Du hast vorhin auch das Thema Corona angesprochen. Für mich hat es wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Was würdest du sagen, welche Herausforderungen hat Corona in der Modebranche offengelegt, und wie seid ihr bei Liberty damit umgegangen?“
Kevin (43:30.286)
„Corona hat das Konsumentenverhalten nachhaltig verändert. Alle, die schon vorher gut auf Online-Business vorbereitet waren, haben davon massiv profitiert. Diejenigen, die das nicht waren, mussten schnell investieren, um digital konkurrenzfähig zu bleiben. Gleichzeitig hat Corona viele Unternehmen zur digitalen Transformation gezwungen, doch nicht alle sind erfolgreich damit. Manchmal stellt sich heraus, dass das Geschäft online einfach nicht funktioniert. Wir haben bei Liberty bewusst entschieden, uns auf unsere eigenen Retail-Stores zu konzentrieren und unseren eigenen Online-Shop auszubauen, anstatt über große Plattformen zu verkaufen. Das bedeutet vielleicht langsameres Wachstum, aber es schützt unser Geschäftsmodell langfristig.“
Malte Hansson (49:27.502)
„Wie siehst du die Herausforderung, den Spagat zwischen digital und stationär zu meistern? Gerade bei Kleidung, die man gerne anprobieren möchte, scheint es schwierig, das online zu ersetzen.“
Kevin (51:50.094)
„Die Frage ist, ob überhaupt beides notwendig ist. Nicht jede Marke braucht unbedingt einen eigenen Online-Shop. Wichtig ist, dass man die Stärken jedes Kanals kennt und bewusst entscheidet, welche Kanäle man bedient. Im Endeffekt sollte der Kunde die Freiheit haben, den Kanal zu wählen, der für ihn am besten passt, aber das sollte nicht bedeuten, dass man sich dadurch kannibalisiert.“
Malte Hansson (59:14.205)
„Das führt uns zu einem weiteren Thema: Fast Fashion und die Konkurrenz aus Asien. Siehst du Potenzial für europäische Marken, sich durch Qualität und Nachhaltigkeit abzuheben?“
Kevin (01:05:09.518)
„Absolut. Der Wettbewerb wird härter, und viele europäische Marken sollten sich stärker auf ihre Stärken konzentrieren. Qualität und Langlebigkeit sind gute Differenzierungsmerkmale, aber man muss auch ehrlich zu sich selbst sein: Kann man die Werte, für die man stehen möchte, auch wirklich verkörpern? Am Ende ist Markenmanagement entscheidend, und es wird darauf ankommen, ob die Marke für etwas Einzigartiges steht und dies auch authentisch kommunizieren kann.“
Malte Hansson (01:25:00.253)
„Ein gutes Schlusswort, finde ich. Zum Abschluss noch eine Frage: Wenn du ein Gesetz erschaffen könntest, das weltweit gelten würde, welches wäre das?“
Kevin (01:31:56.142)
„Ich würde mir ein Gesetz wünschen, das Gewalt und Krieg ächtet und den Dialog fördert. Ich glaube, wir könnten so viel erreichen, wenn wir uns als Menschen begegnen und eine gemeinsame Basis finden könnten. Gerade in Zeiten wie diesen wäre das für mich das wichtigste Gesetz.“
Malte Hansson (01:33:00.604)
„Das ist ein schöner Abschluss. Vielen Dank, Kevin, dass du heute dabei warst und deine Gedanken und Erfahrungen geteilt hast. Ich wünsche dir alles Gute für die Zukunft.“
Kevin (01:33:23.694)
„Danke, Malte. Es war mir eine Freude.“